identität
Wir fürchten uns vor dem Alten und wir fürchten uns vor dem Neuen. Doch wir fürchten uns vor dem Neuen mehr als vor dem Alten. Denn das Alte erscheint uns vertraut und diese Vertrautheit suggeriert eine Form von Geborgenheit. Das Neue erscheint uns unbekannt (gerade weil es wirklich neu ist, ist es ja unbekannt), und es ist eine natürliche Reaktion, sich davor zu fürchten.
Doch wir können diese Furcht beobachten, wenn wir uns ihrer bewusst sind. Wenn wir uns ihrer nicht bewusst sind, stehen wir ihr hilflos gegenüber und verlieren die Kontrolle an diese Furcht. Um diesen Kontrollverlust abzumildern, versuchen wir weiterhin, ins Alte zu flüchten.
Unsere Identitäten, die wir uns mühsam über Jahrhunderte hinweg aufgebaut haben, kommen ins Wanken. Diese alten Identitäten fußen durchweg in unserer Wahrnehmung der Wirklichkeit als „dual“: „Mann und Frau“ zum Beispiel, oder „Unsere Religion und deren Religion“ oder „Unser Land und deren Land“. Sämtliche Kämpfe (innere in uns und äußere in der Welt), die wir derzeit erleben, drehen sich um die verzweifelte Verteidigung dieser „alten Identitäten“. Wir haben das Gefühl, diese Identitäten, diese Dualität, retten zu müssen und je mehr wir das Gefühl haben, dass sie nicht mehr zu retten sind, desto heftiger das Ringen.
Sie sind nicht mehr zu retten. Die Auseinandersetzungen, die Kriege, die wir allenthalben erleben, sind Ausweis dieser unaufhaltsamen „Dekonstruktion“. Sie sind wirklich und sie sind das notwendige Chaos einer Neu-Ordnung. Und es ist nicht mehr eine Frage des „Was“, sondern lediglich des „Wie“ – also keine grundsätzliche Frage mehr, sondern eine der Ausgestaltung.
Für uns Menschen gibt es kaum etwas Beängstigenderes als unsere „Identität“ zu verlieren, denn wir glauben, dass sie etwas „Statisches“, oder auch „Gottgegebenes“ ist. Aber unsere Identitäten sind selbst-gewählt (oft sind wir uns dessen nicht bewusst). Und da sie selbst-gewählt sind, sind sie auch nicht statisch – auch wenn wir uns noch so verzweifelt daran klammern. Spätestens der „Tod“ markiert das „Ende unserer gewählten Identität“. Und das ist es, was wir derzeit erleben: Ein Sterben. Und die Furcht davor. Erst wenn wir allmählich beginnen, uns von dieser Furcht zu befreien, von der Furcht vor „diesem Tod“, werden wir wieder wirklich handlungsfähig. Dann werden wir verstehen, dass die „Kontrolle“, die wir verlieren, nicht eine „Kontrolle durch uns“, sondern eine „Kontrolle über uns“ war. Aus „Identität“ - der Illusion - wird dann „Intimität“ - als Wirklichkeit.
(TFS)